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Winterdienst in Zeiten des Klimawandels

Herr Grabow, wir hier in Norddeutschland erleben ja selten noch einen richtigen Winter mit Schneemassen. Dennoch sind ihre Mitarbeitenden in den Wintermonaten regelmäßig unterwegs. Wie sieht der Winterdienst in Hannover in Zeiten des Klimawandels aus?

Der Winterdienst in Zeiten des Klimawandels birgt für die Stadtreinigung große Herausforderungen.

Stark schwankende Temperaturen und Luftdruckeinflüsse, instabile und schnell wechselnde Wetterlagen mit moderaten Glätteereignissen, aber ggf. auch Extremwetterlagen mit teilweise starken Niederschlägen beobachten wir viel häufiger als in früheren Jahren. Anstatt anhaltendem Schneefall ist vermehrt mit Reifglätte zu rechnen, die für alle Verkehrsteilnehmenden oft noch schwieriger zu erkennen und zu berücksichtigen ist als Schneematsch oder eine festgefahrene Schneedecke, auf die man sich relativ gut einstellen kann. Im Winterdienst ergeben sich dadurch in Hannover fundamentale Veränderungen in Logistik, Technik und Streumitteleinsatz.

Während in der Winterdienstperiode 2012/2013 in Hannover noch 120 Einsatztage auf gefährlichen und bedeutenden Fahrbahnstellen erforderlich waren, sank diese Zahl in den letzten Jahren auf durchschnittlich ca. 30 bis 40 Einsatztage pro Saison. Dabei sind aufgrund deutlich instabilerer Wetterlagern mit kurzfristig wechselnden Wetterbedingungen die Anforderungen an die Verkehrsteilnehmenden und die Straßenbetriebsdienste hinsichtlich aufmerksamer und vorausschauender Mobilitätsplanung deutlich gestiegen. Auch die Stadtreinigung Hannover musste sich diesen Entwicklungen strukturell und technisch anpassen, um zunehmend flexibler und mit kürzeren Vorlaufzeiten auf die unterschiedlichen Glätteereignisse reagieren zu können. Inzwischen sind wir sogar so weit, dass wir nicht nur auf Glättebildung reagieren, sondern vielfach auch vorbeugend tätig werden, damit sich erst gar keine Glätte entsteht oder diese effizienter bearbeiten werden kann. Die Gewährleistung der Verkehrssicherheit hat für uns nach wie vor oberste Priorität. Aber, dass der Winterdienst in absehbarer Zeit überflüssig wird, ist eine deutliche Fehlannahme. Die Stadtreinigung wird weiterhin im Winter gefordert sein.

Wie wird der Winterdienst überhaupt genau organisiert?

Wie in jeder anderen Großstadt auch, erfolgt der kommunale Winterdienst nach einem dezidierten Räum- und Streuplan in Prioritätsstufen. Wir sprechen dabei von einem differenzierten und salzarmen Winterdienst, der unter Beachtung der größtmöglichen Ressourcenschonung den Mobilitätsanforderungen einer modernen Großstadt angemessen gerecht wird.

In der ersten  Dringlichkeitsstufe Winterdienst (W1) bearbeiten wir:

•           400 km Hauptverkehrsstraßen und priorisierter Fahrbahnen (z.B. für den ÖPNV)

Zuwegungen und Abfahrten zu Krankenhäusern, Feuer- und Rettungswachen, Polizeidienststellen

•           50 km öffentliche Gehwege

•           250 km Radwege

•           3.800 Fußgängerüberwege

•           690 Behindertenparkplätze

 

Zweite Dringlichkeitsstufe (W2):

•           2.000 km Nebenstraßen

Mit über 100 Streu- und Räumfahrzeugen sind die bis zu 280 Straßen­reinigungskräfte im Einsatz, um die Sicherheit auf Straßen, Plätzen und Wegen zu gewährleisten: von 7.00 bis 22.00 Uhr (Mo-Sa) und 8-22 Uhr (sonntags).

Jetzt hält sich das Wetter bekanntermaßen nicht an Uhrzeiten. Gibt es auch eine Art Bereitschaftsdienst für den Notfall?

Ja, wir arbeiten natürlich auch in Rufbereitschaften für den Winterdienst. Diese können von Oktober bis Ostern jeder Saison von der Einsatzleitung angesetzt werden, wenn die Wetterprognosen Glätteereignisse voraussagen, die außerhalb der regulären Arbeitszeit der Stadtreinigung bearbeitet werden müssen, um die Verkehrssicherheit gewährleisten zu können.

Die Einsatzleitung kommuniziert in den Wintermonaten regelmäßig mit den verschiedenen Wetterdiensten. Wenn diese Schnee- Reif oder Eisglätte vorhersagen, kontrollieren aha-Mitarbeitende bereits nachts Straßen und Fußgängerüberwege im Stadtgebiet Hannover. Wenn der Winterdienst ausrücken muss, verständigen sie rund 180 Kolleginnen und Kollegen der Rufbereitschaft. Innerhalb von 45 Minuten beginnen die Einsatzmannschaften dann mit rund 100 Räum- und Streufahrzeugen mit der Bearbeitung. Tagsüber bekommen sie von weiteren Kolleginnen und Kollegen der Straßenreinigung Unterstützung. aha kann zudem bis zu 100 städtische Mitarbeitende zusätzlich im Winterdienst einsetzen, wenn es die Situation erfordern sollte.

Vorausbereitschaft: ABC-Touren im Winterdienst:

Hierbei handelt es sich um drei Kontroll- und Streutouren über das gesamte Stadtgebiet der Landeshauptstadt Hannover verlaufen. Es werden sowohl die nach einer thermographischen Messung festgestellten kältesten Stellen im Straßennetz als auch bekannte Gefahrstellen, Brücken und Gefällestrecken kontrolliert und ggf. mit einer vorbeugenden Streuung präventiv gegen eine Glättebildung behandelt.

Dazu werden 3 Streufahrzeuge werktags von 15.00 bis 6.00 Uhr von der Zentrale aus koordiniert. An den Wochenenden rund um die Uhr. Entsprechend der wetterdienstlichen Vorinformationen entscheidet die Einsatzleitung Winterdienst (EL-WD), wann die Touren starten, um vor Ort Informationen über den tatsächlichen Straßenzustand zu sammeln und an die Einsatzleitung zu übermitteln. Beispiel: Die ABC-Touren starten um 1.00 Uhr und streuen vorbeugend alle gefährlichen Stellen wie Brücken, Gefällstrecken etc. mit Sole, wenn der Wetterdienst eine nächtliche, bis in den Morgen anhaltende   Reifglätte vorausgesagt hat. Stellen die Mitarbeitenden darüber hinaus erhebliche Glätte auf Fahrbahnen und Radwegen fest, alarmieren sie die Einsatzleitung, die ggf. in Abstimmung mit dem Wetterdienst über eine Alarmierung der Rufbereitschaft entscheidet. Die Kollegen werden dann per Pieper geweckt und sind ca. 45 Min. später einsatzbereit in den Betriebsstätten.

Sie hatten eingangs erwähnt, dass der Winterdienst in Zeiten des Klimawandels großen Veränderungen unterworfen ist. Ist der Winterdienst selbst auch nachhaltiger geworden und wenn ja inwiefern?

Ja, natürlich. Wir haben in der Vergangenheit viele Alternativen beim Streumitteleinsatz getestet. Eingesetzt wird mittlerweile auf Fahrbahnen und Radwegen standardmäßig eine reine Solestreuung, das heißt ein Salz-/Wassergemisch mit einem Salzanteil von nur ca. 22%. Technisch funktioniert dieses Streumittel bis zu einer Fahrbahnbelagstemperatur von max. – 6°C.

Die direkten ökologischen und ökonomischen Vorteile hinsichtlich der erzielten Salzeinsparung sind dabei offensichtlich. Darüber hinaus gibt es weitere technische Aspekte, die uns von der vorrangigen Anwendung dieses Streumittels überzeugen. Zum einen ist die Ausbringung sowohl über einen rotierenden Streuteller großflächig und sehr gleichmäßig möglich. Zum anderen aber auch über Sprühdüsen fein dosierbar und sehr gezielt auf eine bestimmte Streubreite auf Fahrbahnen und Radweg auszubringen, um das Straßenbegleitgrün möglichst nicht zu benetzen.

Aber kann das denn auch wirksam sein, fragen Sie sich vielleicht?

Ja, neben einer verhältnismäßig geringen Streudichte und einem relativ exakten und gleichmäßigen Streubild hat die Solestreuung den Vorteil, dass die Flüssigkeit deutlich besser an den Oberflächen der Straßenbeläge haftet, in offenporige Beläge sogar eindringen kann und dadurch weniger Verwehung und Austrag durch den Fahrverkehr entsteht – das Streumittel bleibt also dort, wo es sein soll, nämlich auf der Straße.

Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich eine Solestreuung sehr gut als präventives Streumittel und kann auch Stunden vor einem Glätteereignis ausgebracht werden. Daher sehen Sie unsere Streufahrzeuge vielleicht des Öfteren auch schon am frühen Nachmittag, wenn die Wetterprognose ein Glätteereignis für den Abend oder die Nacht vorhersagt.

Außerdem ist die vorbeugende Solestreuung für fast alle Arten der Glätte gut anwendbar, insbesondere für die bei uns inzwischen überwiegende Reifglätte und gefrierende Nässe. Aber auch absehbare Schneeglätte sollte vorbeugend behandelt werden, damit der Schnee nicht festgefahren wird oder anfriert sondern gut räumfähig ist – denn wenn Schneeglätte mechanisch sauber „schwarz“ geräumt werden kann, sparen wir bei der anschließenden Streuung ebenfalls wieder erhebliche Mengen Streumittel.

Ein salzarmer, differenzierter Winterdienst kann also in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte sehr flexibel und fortschrittlich sein, ohne die oberste Priorität der Sicherstellung der Verkehrssicherheit für die Verkehrsteilnehmenden zu vernachlässigen!

Um den gestiegenen Bedarf an Sole bereitzustellen, wurde auf dem Hauptfirmengelände ein neuer Soleerzeuger mit entsprechenden Tankkapazitäten gebaut.

Die Solemischanlage erzeugt bei Bedarf 10.000 Liter Salzlösung pro Stunde und speichert diese in mehreren Tanks mit insgesamte 400m² Fassungsvermögen. Über vier parallele Zapfstellen werden die Winterdienstfahrzeuge bei Bedarf mit Sole befüllt.

Insgesamt wurden Soleerzeuger und Tanksilos so dimensioniert, dass hiermit gut 2-3 komplette Streustrecken bevorratet werden können.

Zudem werden an der aha-Zentrale ca. 4.500 Tonnen Streusalz und ca. 2.500 Tonnen Split (für Gehwege etc.) in Halden bevorratet, sodass jederzeit ausreichend Streumittel vorhanden sind, um auch auf Wetterextreme vorbereitet zu sein.

Seit wann führt aha diesen salzarmen Winterdienst durch?

Nach einer dreijährigen Testphase mit „Sole“, zunächst auf Radwegen, dann auch auf Fahrbahnen, hat es zum Wirtschaftsplan 2020 den grundsätzlichen Beschluss zur Reorganisation des Winterdienstes in Hannover gegeben. Die ersten entsprechenden Winterdienstfahrzeuge standen zur Winterdienstsaison 2020/2021 zur Verfügung. Seitdem haben wir kontinuierlich gute Erfahrungen mit der Solestreuung gesammelt und bauen die Logistik weiter aus, um eine effiziente, flächendeckende Streumittelbevorratung über alle Betriebsstätten sicher zu stellen und so Fahrtwege und -zeiten einzusparen

Wie werden die Bürger einbezogen, um Verständnis zu erzeugen, z. B. für die Priorisierung von Straßen und Wegen?

Das ist nicht einfach, da die Annahme es gäbe eine allgemeine Räum- und Streupflicht leider weit verbreitet ist. Aber nicht jeder Quadratmeter öffentliche Fläche muss von der Stadtreinigung auch geräumt und gestreut werden. Die winterdienstliche Bearbeitung der Gehwege beispielsweise ist in weiten Teilen des Stadtgebietes auf die Anlieger übertragen. Für Straßen, Plätze, Radwege und Überwege gibt es in Hannover einen Räum- und Streuplan, den aha nach Dringlichkeitsstufen abarbeitet.

Über die Öffentlichkeitsarbeit, z. B. mittels Informationsflyer, Social Media Beiträgen und die Berichterstattung in den lokalen Medien, werden die Bürgerinnen und Bürger für die Regelungen der Straßenreinigungssatzung und -verordnung in Hannover sensibilisiert und es wird ihnen aufgezeigt, welche Pflichten sie selbst im Winterdienst haben.

Immer wieder sind Menschen auf den ersten Blick irritiert, wenn die Kolleginnen und Kollegen der Stadtreinigung bei Sonnenschein und +2 bis +4°C tagsüber die Radwege oder Überwege bearbeiten. Aber diese präventive Bearbeitung ist wichtig, um Glätte zu verhindern, bevor sie entsteht – zumal man Reifglätte oder gefrierende Nässe ja ohnehin nur sehr schwer „sehen“ kann – anders als Schnee.

Für diese vorbeugende Streuung können wir im Gegensatz zu einer kurativen Bearbeitung, wenn die Glätte schon besteht, ganz im Sinne der Ressourcenschonung die Streumittelmengen erheblich reduzieren. Außerdem bleiben wir in der Personaleinsatzplanung flexibel, was mögliche Glättebearbeitung in der nächsten Nacht bzw. den frühen Morgenstunden angeht, falls sich durch Wetteränderungen noch zusätzliche Niederschläge einstellen.

So schafft es die Stadtreinigung zuverlässig und kompetent die Straßen und Wege in Hannover auch im Winter sicher und möglichst uneingeschränkt nutzen zu können.  Denn die Anforderungen der Einwohnerinnen und Einwohner an sichere und komfortabel zu nutzende Verkehrswege sind mit der Mobilitätswende durchaus gestiegen.  Hier kommt etwa dem steigenden Anteil an Radverkehr auch im Winter, eine immer größere Rolle/Bedeutung zu.

In dieser Saison ist auch ein erweitertes Ausbildungsprogramm für den Winterdienst-Einsatz gestartet, richtig? Was beinhaltet das genau?

Zu einer gründlichen Vorbereitung auf die winterdienstlichen Arbeiten gehört neben einer verkehrsrechtlichen Belehrung und technischen Unterweisung für die Mitarbeitenden auch die Überprüfung der Räum- und Streupläne. Dazu haben wir in diesem Jahr im Oktober erstmalig vor Beginn der Winterdienstsaison bekannte Engstellen sowie umgebaute Fahrbahnabschnitte mit den Räum- und Streufahrzeugen angefahren.

Bei der Überprüfung im Stadtgebiet haben die Mitarbeitenden unter anderem Durchfahrtshöhen- und -breiten sowie Möglichkeiten der Schneeablage vor Ort begutachtet, um diese in den Plänen anpassen zu können. Hintergrund der Erweiterung des Ausbildungsprogramms im Sinne eines Praxistests ist neben der gestiegenen Anzahl der Instandsetzungs- und Sanierungsmaßnamen an Straßen, Wegen und Brücken auch der demografische Wandel in der Belegschaft und ein sich stetig verändernder Fuhrpark.

Die Stadtreinigung plant zudem weitere Maßnahmen, die über die übliche Berufskraftfahrerqualifikation hinausgehen. Beispiele hierfür sind eine E-Learning-Plattform zur theoretischen, technischen Unterweisung in Fahrzeuge und Geräte, die aber auch kleine Lehrvideos enthält oder auch wiederkehrende Fahrsicherheitsübungen. Die Mitarbeitenden sollen so noch besser auf die vielseitigen und witterungsbedingt stark wechselnden Anforderungen vorbereitet werden.

Jetzt haben wir viel über den Einsatz der Stadtreinigung im Winter erfahren. Aber Sie und Ihre Kollegen sind ja nicht alleine für eine saubere und sichere Stadt verantwortlich. Für wen gibt es denn noch etwas zu tun?

Genau, außer den Gehwegen im Cityring von Hannover sind alle Hauseigentümerinnen und -eigentümer verpflichtet, selbst auf den Gehwegen vor ihren Häusern zu räumen und zu streuen. Im Sinne des Umweltschutzes gilt hier schon seit langem ein Salzverbot. Aber wir unterstützen die Menschen gerne beim Winterdienst mit unseren rund 1.000 kostenlosen Streugutkisten im Stadtgebiet von Hannover, die jeweils mit Sand aufgefüllt werden. Auf unserer Webseite unter aha-region.de gibt es eine Liste mit allen Standorten.

Unsere Abfallfahndung überwacht, die Einhaltung des Salzverbotes und ahndet Verstöße je nach den Umständen des Einzelfalls als Ordnungswidrigkeit.  Ausgenommen vom Salzverbot sind lediglich Treppen und Rampen.

Herr Grabow, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch. Ich habe heute wieder viel gelernt und erkannt, wie wichtig der Einsatz ihrer Mitarbeitenden im Winter ist. Haben Sie abschließend noch einen Appell oder etwas, dass Sie loswerden möchten?

Ich bedanke mich auch recht herzlich für das Gespräch.

Wir sind davon überzeugt, dass die Reorganisation des Winterdienstes in Hannover zu einem salzarmen, differenzierten Winterdienst auch in Zeiten des Klimawandels die Verkehrssicherheit unter Schonung von Ressourcen und Umwelt gewährleistet.

Ganz wichtig ist mir noch: Die Beschäftigten der Stadtreinigung sind im Interesse Aller für die Verkehrssicherheit im Einsatz. Bitte sprechen Sie uns an, wenn Sie unsere Arbeitsabläufe einmal nicht nachvollziehen können. Außerdem bitte ich alle Hannoveranerinnen und Hannoveraner, unsere Arbeitsfahrzeuge mit eingeschaltetem orangenem Rundumkennlicht nicht zu behindern oder in gefährlicher Weise zu überholen. Wir sorgen für Ihre Sicherheit – bitte helfen Sie uns dabei!

Nur gemeinsam kommen wir sicher durch den Winter – Danke!

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